Thomas Bernhard rettete sich mit seinem »Schreiben auf Leben und Tod« in eine theatralisch ausbalancierte Existenz. Er hat sich als Skandalautor einen Namen gemacht und brachte seine schlechte Lyrik in seinen Theaterstücken zum Klingen. Fast sind seine späten Texte von einer versöhnlichen, humorvollen Tendenz getragen. Der schriftstellerische Erfolg hellte eben auch die Grabesstimmung des »Unterganghofers« auf, wie er von Henscheid genannt wurde. Sich selbst (und seinen literarisch dilettierenden Großvater) am eigenen Werk, an ästhetisch konstruierten Rollen, aus dem Sumpf zu ziehen, das ist für mich die große Leistung des österreichischen Ausnahmeschriftstellers:
Das Theater, das ich mit vier und mit fünf und mit sechs Jahren für mein ganzes Leben eröffnet habe, ist eine in die Hunderttausende von Figuren vernarrte Bühne, die Vorstellungen haben sich seit dem Premierentermin verbessert, die Requisiten sind ausgewechselt, die Schauspieler, die das Schauspiel, das gespielt wird, nicht verstehen, werden hinausgeworfen, so war es immer. Jede dieser Figuren bin ich, alle diese Reqiisiten bin ich, der Direktor bin ich. Und das Publikum? Wir können die Bühne in die Unendlichkeit hinein erweitern, sie zusammenschrumpfen lassen auf den Guckkasten des eigenen Kopfes. Wie gut, dass wir immer eine ironische Betrachtungsweise gehabt haben, so ernst uns immer alles gewesen ist. Wir, das bin ich. (Thomas Bernhard: Der Keller. Eine Entziehung, S. 112f.)
Wer gerne mehr über diese hochkomplexe theatralische Wir und eine der ungewöhnlichsten Karrieren der österreichischen Literatur- und Theatergeschichte erfahren möchte, möge die Ausstellung in Wien aufsuchen. Sie ist im Österreichischen Theatermuseum aufgebaut, wird ab 5. November 2009 zu besuchen sein und läuft bis zum 4. Juli 2010. Die Kuratoren Manfred Mittermayer, Generalsekretär der Internationalen Thomas-Bernhard-Gesellschaft, und Martin Huber, Leiter des Thomas-Bernhard-Archivs in Gmunden, sind Mit-Herausgeber der Thomas-Bernhard-Gesamtausgabe, der Bernhard-erfahrene Künstler und Bühnerbildner Peter Karlhuber zeichnet für die Gestaltung der Ausstellung veranwortlich.
Auch mich hat Thomas Bernhard in vielen Projekten beschäftigt. Und er wird sicher auch in diesem Blog nicht das letzte Mal Thema sein. An seiner Person fand ich am beeindruckensten, wie er seit seiner Nahtodeserfahrung im Alter von 14 Jahren (literarischen) Widerstand angekündigt und bis zu seinem Tod 1989 durchgehalten hatte. Das Einstehen für die unter die Räder gekommenen Denker- und Künstlerexistenzen und die musikalisch anrollenden Tiraden auf die Mächtigen und ihren Machtmissbrauch, all das hat mich schon immer in seinen Bann gezogen. Am anmaßenden Anspruch des Wiener Burgtheaters, die wichtigste deutschsprachige Bühne zu sein, rieb er sich beispielsweise ein Leben lang:
»Sie (die Burgschauspieler) machen sich augenblicklich mit dem Publikum gemein und prostituieren sich und machen die sogenannte erste Bühne des deutschen Sprachraums, wie sie sich selbst in infantiler Selbstüberschätzung nennt, zu dem allerersten Theaterbordell der Welt … Ich hatte naturgemäß ein ganz anderes Stück geschrieben, als das, welches diese niederträchtigen Schauspieler und also Verräter ihrer Kunst, bei dieser Uraufführung gespielt haben … Ich erinnere mich, dass ich vom Burgtheater weggelaufen bin, als wäre ich nicht nur aus der Vernichtungsanstalt meines Stücks, sondern aus der Vernichtungsanstalt meines gesamten Geistesvermögens davongelaufen … (Wittgensteins Neffe, S. 156ff)
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