Die Hyperbaustelle ist gut angelaufen, hat mir viel Spass bereitet und viele neue Kenntnisse beschert. Augenscheinlich gibt es ein Interesse an Utopie im nicht streng ideologischen Sinne, auch wenn eine Twitter-Stichprobe ein eher verkapptes Bild ergeben hat. Utopie wird im landläufigen Verständnis zwar als das Gewünschte, aber schlechthin nicht Mögliche gesehen. Genau diese Kluft soll die Hyperbaustelle schließen helfen. Utopie ist etwas, das noch nicht ist und mit dem man sich fantasievoll beschäftigen muss, damit Visionen nicht schon vor ihrem Entstehen von der sogenannten Realität zensiert werden. Dabei sollte man versuchen, zu seinen Überzeugungen zu stehen und nicht Machbarkeitsüberlegungen die Oberhand gewinnen lassen.
Die Themen auf der Hyperbaustelle spiegeln bislang vor allem mein Verständnis von Utopie wider. Am stärksten nachgefragt wurde ein Internet-Thema: Crowdsourcing besitzt eine utopische Potenz, aber als Strategie im kommerziellen Umfeld ist es eher durch ausbeuterische Züge gekennzeichnet. Die Zusammenarbeit aller innerhalb eines bestimmten Projekts, wie sie im Open Source-Bereich oder in unabhängigen Formen von Journalismus und Meinungsäußerung beispielsweise in der Blogosphäre verwirklicht wird, weist demgegenüber in die richtige Richtung.
Zu einer Konkretisierung der Utopie tragen besonders ästhetische Experimente bei. Sie helfen uns bei der Gestaltfindung, seien es Selbsttheatralisierung und Widerstand bei Thomas Bernhard, alternative Präsentationsformen von Kunst und Pappmaché-Verfremdungen des Alltags, Kabarett und Jazz, die fest verankert in der Gesellschaft dennoch Denken und Sinne öffnen, der Dialog zweier Dichter und Denker oder die Erzählung, in der Geschichte zu einem gemeinsamen und reflektierten Ereignis wird.
Utopie war immer eng mit Erziehung verknüpft. In diesem Zusammenhang kann ich aus meinem Alltag schöpfen und meine Rolle als Erzieher und Vater überdenken. Hier habe ich viel Feedback von einer Baustellenkollegin bekommen. In diese Richtung und darüber hinaus – so der Tenor einer anderen Anregung – könnte auch der Erlebnischarakter der Posts verstärkt werden.
Im parteipolitischen Spektrum gibt es nicht sehr viel Zukunftsweisendes zu vermelden: Aber das breite Bewusstsein der Hülsenhaftigkeit der Parteistrategien ist für mich Anlass zur Hoffnung, vor allem deshalb, weil grobe Verstöße gegen die Glaubwürdigkeit inzwischen abgestraft werden. Neue Wege werden gesucht, es gibt ein paar neue Hoffnungsträger in der Parteienlandschaft und auch außerhalb, damit meine ich die Utopisten.
Ein wichtiger Beitrag zur Zukunft der Menschheit wird von den Neurowissenschaften geliefert werden. Wie Philosophie und Naturwissenschaften in diesem Bereich auf eine neue Art und Weise zusammenspielen lernen, ist einer intensiven Betrachtung wert. Wie es sich nicht entwickeln sollte, könnte etwa der Film Surrogates zeigen: die Gefahr einer Techno-Utopie bei fehlender Technikreflexion und ein misslungenes ästhetisches Experiment, das die Qualitäten seiner Vorlage nicht zu nutzen wusste.
Der Utopie-Renner im Oktober war die Veröffentlichung des Gesprächsbuchs von Raul Zelik und Elmar Altvater »Vermessung der Utopie«. Es kann unter http://www.vermessung-der-utopie.de kostenlos heruntergeladen werden. Auf der Website wird außerdem zur Debatte eingeladen. Die beiden Autoren liefern in ihrem Gespräch eine radikal-kritische Analyse der Gegenwart. Ihr gemeinsamer Versuch, ein utopisches Gesellschaftsmodell zu entwickeln, geht von einem Ökonomiebegriff aus, der das ökologische und soziale Gemeinwohl einbezieht und auf Vernunft gegründet ist.
Zum Abschluss einige Fundstücke und Zitate aus dem Netz:
« Thomas Bernhards theatralische Befreiung – Funny liebt den Kapitalismus »
[…] Utopie im Oktober […]
Pingback: Hyperbaustelle » So viel Anfang im Januar | Utopie-Blog – 02. Februar 2010 @ 01:20