Ich kann mich an keinen sympathischeren und faireren Sportler im Fußballgeschäft erinnern: Robert Enke war sensibel und kein Maulaufreißer, wie so viele andere in seinem Metier. Und es dürfte der Öffentlichkeit kaum zu erschließen sein, was er alles mitmachen hatte müssen und was Depressionen für die Betroffenen bedeuten. Sein Tod hat mich geschockt und wirklich traurig gemacht. Viele andere waren vermutlich in einer ähnlichen Verfassung, wie man in Twitter mehr quantitativ als qualitativ wahrnehmen konnte.
Das Resultat: Ich schätze mal, mindestens 1.000 Tweets pro Minute im Zeitraum von mindestens einer Stunde – ein Trending Topic der besonderen Art. In den Tweets, die ich überfliegen konnte, wollte die Mehrzahl ihrer Verfasser weder besonders klug oder witzig sein, oder wie auch immer die Aufmerksamkeit der anderen erregen. Angesichts dieser Kondolenz-Welle stellte sich das Gefühl ein, dass die Menschen echt betroffen waren und spontan ihren Emotionen Ausdruck verliehen. Das hatte nichts Manieriertes oder Aufgesetztes, sondern war irgendwie authentisch. Schon sehr früh stimmte die Schriftstellerin Sybille Berg ihre Webgemeinde ein, ohne den Namen Enkes überhaupt zu nennen:
»sich selber umbringen , ist das letzte verschissene recht, das wir sklaven haben! respektiert das«
Geborgen in einer warmen Welle der Anteilnahme zu sein, hat etwas Rituelles. Und ich denke, so verwendet man ein Medium richtig, das sich auf der anderen Seite immer mehr zu einem Branding-Instrument entwickelt. Oder zu einem der medialen Selbstbespiegelung. Denn viele (auch Lifereport) nehmen ein tragisches Ereignis draußen nur noch zum Anlass, Überlegungen über die Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung anzustellen. Das ist für mich Ausdruck eines Fetischismus, der mir zeigt, wie bereits einiges durch die dauerende Bildschirmglotzerei auf der Strecke geblieben ist. Nah dran an den Ereignissen ist man nämlich nicht durch Schnelligkeit, sondern durch Einfühlung. Das sollte hier mal erwähnt werden.
Nun zu einer Form der Anteilnahme, auf die man ganz verzichten könnte: Ich bekam von einem Follower, eine Direct Message mit einem Link http://videoz .twitter.dfhjkdh. Etwas verwirrt von Enkes Tod habe ich nicht bewusst mitgekriegt, dass ich mich noch einmal bei Twitter einloggen musste, vielleicht Überkapazität oder was auch immer, dachte ich. Dann stand ich also vor einem leeren Blog in spanischer Sprache und versuchte noch einen Bruchteil einer Sekunde herauszufinden, wer »lynn1234« denn eigentlich sei – Scheiße – und wusste fast im selben Moment, dass ich nicht mehr allein war. Eine klassische Horrorszene, ich habe ihn hereingelassen und kann ihn nicht sehen, aber er sieht mich – der Phisher. Ich änderte zweimal mein Passwort, benachrichtigte den Follower und postete das Problem in Twitter. Am nächsten Tag war die Direct Message von alleine verschwunden.
Ich bin dann noch im Web und bei Twitter fündig geworden, Infos, wie die Phising-Aktion einzuschätzen ist. Folgende Tweets gab Twitter aus, mit zwei ganz wichtigen Links:
Wer über diese oder andere Phising-Aktionen Bescheid weiß, hinterlasse mir bitte einen Kommentar? Damit mich die wahrhaft existentiellen Fragen nicht mehr länger quälen: Hat Passwort ändern gereicht? Bin ich jetzt permanent überwacht? Muss ich meinen Twitter-Account gar aufgeben? Sind andere Daten und Zugänge auch in Gefahr?
Ich würde wieder gerne alleine sein in meinem Account, lieber Phisher. Du weißt nicht, was du dir hier einhandelst: Auf jeden Fall keinen Platz auf dem Handtuch des Hitchhikers! Ab in den Orkus des Universums mit dir! Stundenlanges Vorgelesenbekommen von Vogonengedichten! Schweinsein im Restaurant am Rande des Universums. Einen zweiten Zaphodkopf, der dich ein Leben lang bespitzelt.
« Michael Moore liebt den Kapitalismus auch – Utopie ist realistisch »
hey,
danke für die Verlinkung. Ich möchte nur kurz Folgendes klarstellen: auch ich war bestürzt, als ich die Meldung über Twitter erfuhr und habe sofort nachschauen müssen, ob es denn wirklich so ist oder ob es sich nur um ein Fake handelt.
Was mich in meinen Gedanken, was einen Menschen so weit bringt, dass er diesen letzten Schritt gehen muss, aber stark irriterte war, wie sehr sich plötzlich die Meldungen nur noch um diese Nachricht gedreht haben und alles andere vergessen wurde.
Und heute? Heute kräht keiner mehr so richtig danach. Darüber wollte ich bloggen. Wie sehr die Medienkarawanne und inzwischen auch wir alle von Ereignis zu Ereignis hetzen und wie schnell sich Nachrichten heute in der verbundenen Welt ausbreiten. Das geht in 5 Minuten soweit, dass die bild-HP nicht mehr erreichbar war.
Ob diese Schnelllebigkeit so gut ist für uns alle?
grüßle
Comment: stega – 11. November 2009 @ 21:32
@stega: So gesehen, pflichte ich dir vollkommen bei! Nur dein Post war anders gewichtet. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass du auf den Zug aufgesprungen bist. Schnelligkeit, Denken in Klicks, Staunen über Technik … da verliert man wesentliche Dinge aus den Augen … Gruß urb
Comment: urb – 11. November 2009 @ 21:56
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Marion Popiolek, urb erwähnt. urb sagte: Twitter nimmt Anteil – Trauer um Enke – Nachrichtenfetischismus – nie mehr allein dank Phising http://tinyurl.com/ylkexvt […]
Pingback: Tweets die Hyperbaustelle » Twitter nimmt Anteil | Utopie-Blog erwähnt -- Topsy.com – 12. November 2009 @ 04:33
Lesenswert außerdem der Artikel des Spiegelfechters: http://www.spiegelfechter.com/wordpress/1147/der-freitod-eines-torwarts-und-die-ethik – urb
Comment: urb – 12. November 2009 @ 08:55
@urb: ich war einfach nur Baff, wie sich die Sache entwickelte und wollte mal zeitnah schreiben, wie auch mich diese Welle des Hypes überrollte…. dass sogar server in die Knie gezwungen werden. 🙂
Gut, ich muss dir insofern Recht geben, als dassd er Artikel dann natürlich auch auf den Zug aufspringt – aber ich habe versucht möglichst wenig heimschende MEdienhype-Inhalte zu verarbeiten und nur meine Twitter-Follower zu zitieren bzw. eben die eine Pressemeldung, auf die ich in Twitter hingewiesen wurde.
🙂 Aber dennoch toller Artikel hier!
grüße
Comment: stega – 12. November 2009 @ 19:41
[…] ein Massenmedien Anteil nehmen kann, zeigte der Fall Robert Enke. Die utopische Dimension bestand für mich darin, dass die riesige Kondolenz-Welle das Gefühl erzeugte, dass die Menschen echt betroffen waren und […]
Pingback: Hyperbaustelle » Der kritische November | Utopie-Blog – 29. November 2009 @ 22:14