Brunnen für Afrika und neueste Kommunikationstechnik – wie geht das zusammen? 2aid.org lautet die Antwort, ein im Juli vergangenen Jahres gegründetes Charity-Portal, das sich der effizienten und nachhaltigen Hilfe im Kampf gegen extreme Armut verschrieben hat und dabei auf den utopischen Geist des Web 2.0 baut. Die Mitarbeiterin Petra Borrmann erklärt auf der Hyperbaustelle, wo 2aid.org gerade den visionären Hebel ansetzt.
In der Region Nakaseke (Uganda) steht zurzeit nur ein einziger Brunnen für fast 4.000 Menschen zur Verfügung; Foto: 2aid.org
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Aber was ist das, ein Wille? Neurophilosophie-Prof Metzinger weiß nicht, wie viel dieser wiegt und welche Farbe er hat. Und von Freiheit ganz zu schweigen. Denn diese ist ein Geräusch ohne Bedeutung, eine Halluzination unserer fremdbestimmten grauen Masse. Aber was ist das Fremde, das uns bestimmt? Der Wissenschaftler mit seiner Elektrode in unserem Sprachzentrum?
Bildgebende Verfahren entdecken die defekte Großhirnrinde.
Die Party war angenehm. Die meisten Gäste hatten sich via Holoübertragung zugeschaltet. Gespräche leiden darunter absolut nicht, und der Bewirtungsaufwand hält sich in Grenzen. Immer wieder stellt sich allerdings die Frage: Was tut man mit den Besuchern, die durch die Haustüre gekommen sind. Sie geraten leicht ins Abseits, wenn ununterbrochen Holos eintreffen und sich euphorisch in den Vordergrund spielen. Kommt noch hinzu, dass sich die physisch Anwesenden wiederum als Holos an andere Orte senden. Du weißt nie, ob nicht gerade ein auf andere Räume konzentrierter Astralkörper vor dir steht. Dass eine Holographie als vorgefertigte Botschaft abgespielt werden kann und ihre Bewegungen am Übertragungsort nicht tatsächlich von ihrem Sender ausgeführt werden müssen, macht die Sache nicht gerade einfacher. Es soll Menschen geben, die an manchen Abenden an bis zu zehn Orten gleichzeitig unterwegs sind. Unter den Jüngeren ist das weit verbreitet: Die „Generation Partyschizophrenie“ ist zu einem großen Teil in therapeutischer Behandlung.
Am 4. Januar vor 50 Jahren ist Albert Camus gestorben – der viel geschmähte Mann der Revolte und des „absurden Trotzdem“. Heute ist er aktueller als seine damaligen Kritiker und man kann sich auf ihn als Waffe gegen ausgelaugte Ideologien und Mächte ohne Größe berufen, aber ihn auch als Prüfstein der eigenen Positionen heranziehen.
Französische Philosophen scheinen der Freiheit auch das vorausdenkende Gestalten opfern zu wollen. In der Philosophie-Reihe auf Arte.tv wurde der Rechtswissenschaftler Frédéric Rouvillois, spezialisiert auf Staatsrecht sowie Ideen- und Repräsentationsgeschichte, befragt. Seine eindimensionale Antwort: Utopie = Faschismus!
Mein Gedächtnis ist gut, ich habe einen wirklich leistungsstarken Chip in meinen Bioport eingeschoben. Meine persönlichen Erinnerungen organisiere ich auf meinem Holoschirm. Dazu habe ich den Wissensschwerpunkt Geschichte geladen. Das bringt mich zu diesen wunderbaren Visionen und Reflexionen über vergangene Zeiten, die ich definitiv nicht selbst erlebt habe.
Mir geistern nicht nur Daten durch den Kopf: Französische Revolution 1789, Wiener Konferenz 1815, sondern auch ganze Videos, beispielsweise über den Fall der Berliner Mauer, das Verhängen des Kriegsrechts in Europa angesichts des internationalen Terrorismus‘, das Versinken der Niederlande in der Nordsee oder die ersten Menschen auf dem Mars; der erste Fuß war im Übrigen der einer Frau. Das ist fast zu viel für einen einzigen Menschen: Diese Wissensflut berauscht, mehr als früher natürlich angebaute Drogen, deren Wirkung ich auch nur über die unmittelbare Wissensvermittlung kenne.
Bill Frisell allein an der Gitarre, aber im Dialog mit Bob Dylan. Seine Adaptionen sind bemerkenswert und manchmal nicht leicht zu erkennen. Frisell ist virtuos, kann aber auch begleiten, er ist seinen musikalischen Wurzeln treu und experimentell zugleich.
Obama wird’s schon richten, denn wenn ein Schwarzer in den USA Präsident werden kann, geht alles. Volker Pispers durchleutet die Rolle des neuen Messias, der, ernsthaft betrachtet, eher als Unglücksfall zu sehen ist – als das freundliche Gesicht der Katastrophe, das es trotz aller Sympathie nur erschwert, die wirklichen Abgründe wahrzunehmen.
Die Blogrolle der Hyperbaustelle ist zum neuen Jahr online gegangen. Wir haben eine gute Mischung aus Magazinen, Blogs und sonstigen Netz-Dependancen hineingefüllt. Utopie steht natürlich im Zentrum, aber auch zukunftsweisende Web- und Medienkultur sind wichtige Aspekte.
Heute schon etwa 100 E-Mails erhalten, die Lebensmittelverteilung betreffend. Verschiedene Grundnahrungsmittel, die die Kühlschränke in diesen Haushalten bestellt hatten, sind nicht angekommen. Irgendetwas stimmt in der Verschaltung der Informationen nicht. Ich werde wohl eine Prüfroutine abschicken, um den Datenverkehr und die Versandsteuerung per Rohrpost zu korrigieren. Ich bin E-Logistiker, verantwortlich für die Versorgung der Haushalte in unserem Bezirk, also für so ungefähr 3000 Menschen. Wir haben eine kleine, aber feine Wirtschaft. Informationen zirkulieren ständig global, nicht aber die Wirtschaft. Die Kreisläufe sind regional dimensioniert, nur Überschüsse und Know-how werden zum Teil weltweit getauscht. Davon profitieren alle, weil kein Konkurrenzprinzip mehr besteht. Unsere Produktionsmaschinen sind effektiv, weil sie schnelle Allrounder sind. Sie verwandeln sich, je nachdem was angefordert wurde, und produzieren, was gerade gebraucht wird. Das spart die knappen Ressourcen.
Im Dezember dämmerte die Hyperbaustelle etwas vor sich hin, obwohl es an Ideen nicht mangelte. Aber mit Gelassenheit erwartet man den Morgen, wie die Generation StefanSusanne bewiesen hat. Tagebucheinträge aus dem 22. Jahrhundert spielten mit möglichen Entwicklungen des Netzes. Dass man die Wege in die Zukunft nicht kennen, sondern finden muss, ist eine »kluge« Variante der konkreten Utopie.
Zukunft ist Dämmerung nach vorn (Ernst Bloch); Foto: urb