Erinnern kann ich mich immer noch an meine erste erste Lektüre von »Der Fremde«: Ein Buch, das ich als Teenager nicht vollends verstanden habe, aber das mich sofort fesselte. Es beschreibt, wie es sich anfühlt, ganz im Absurden zu leben. Der Fremde alias Meursault hilft in seiner emotionslosen Schau die allgemeine Werteheuchelei zu enttarnen. Allerdings wird auch klar, dass er wegen dieser wertneutralen Haltung nichts hinzuzufügen hat. So passt er sich vollkommen an die sinnlose Welt an, begeht einen Mord und empfindet in der Todeszelle die »zärtliche Gleichgültigkeit der Welt«.
Für Camus besteht das Gefühl des Absurden in der Entzweiung des sinnstrebenden Menschen und der sinnleeren Welt. In der Rede zur Verleihung seines Nobelpreises beschreibt er diese Welt als »morsche Geschichte, in der verkommene Revolutionen, tollgewordene Technik, tote Götter und ausgelaugte Ideologien sich vermengen, in der Mächte ohne Größe heute wohl alles zu zerstören, aber niemand mehr zu überzeugen vermögen«.
Irgendwie habe ich es dann auch so abgespeichert: Der Sisyphos-Mythos ist von Camus erfunden worden. Denn Camus stellt sich Sisyphos als glücklichen Menschen vor. Als einen der gegen die Adsurdität revoltiert, indem er sie annimmt: »Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.« »Der Mensch integriert das Absurde und lässt damit sein eigentliches Wesen verschwinden, das Gegensatz, Zerrissenheit und Entzweiung ist.«
Um Camus entbrannte ein kalter Krieg, denn er verkörperte eine Position, die in dieser Zeit des Blockdenkens keine war. Mit Albert Camus ist für mich der Verzicht auf Ideologie verbunden, aber auch die Revolte gegen die bedrückende und entfremdete Realität, die uns umgibt. Sein kreativer Widerstand, sein Aufruf, neue Denkwege für eine menschenwürdige Zukunft zu finden, ist mit Sicherheit ein Leitmotiv der Hyperbaustelle. Zumal sich seine Beschreibung der Revolte wie eine konkrete Utopie lesen lässt:
»Aber die Revolte ist die Weigerung des Menschen, als Ding behandelt und auf die bloße Geschichte zurückgeführt zu werden … Daher stützt sie sich zuerst auf die konkreteste Wirklichkeit, den Beruf, das Dorf, durch die das Sein, das lebendige Herz der Dinge und der Menschen durchschimmern. Die Politik hat sich, ihrer Ansicht nach, diesen Wahrheiten zu beugen.« (Albert Camus, Der Mensch in der Revolte)
Internationale Camus-Tage Wuppertal
seit 15.1. bis 24.1. 2010
http://www.camus-lebt.de
« Ist Utopie totalitär? – 2110 – Partyholoschizophrenie »
Habe gerade den Artikel in der FAZ gelesen:
„Es gehörte zum guten Ton, Camus als Dichter und Denker nicht ernst zu nehmen. Als junger Kritiker warf Roland Barthes der „Pest“ mangelndes Engagement vor. Ähnliche Vorbehalte gegen den „Humanisten“ und Verräter im kulturellen Klassenkampf findet man auch noch beim arrivierten Pierre Bourdieu.“
Hat jemand Camus‘ erst 1994 erschienenen autobiographischen Roman „Der erste Mensch“ gelesen? Aus Angst vor den Reaktionen verweigerte die Tochter mehr als dreißig Jahre die Veröffentlichung. Lohnt sich die Lektüre? Paul
Comment: paul – 21. Januar 2010 @ 16:46
Das ist FAZ-Kampfjournaille. Wenig dran, historisch. Aber sicher richtig: es gab komische Abwertungsversuche des alten Establishments. Sartre nannte Foucault angeblich mal »die letzte Waffe, die die Bourgeoisie gegen den Marxismus errichtet hat«. Das oben ist aber wohl nur FAZ-Linkenbashing. Vom Gegenteil lasse ich mich aber gerne überzeugen.
Comment: mule – 14. Februar 2010 @ 21:54
@mule: Denke auch, dass es eine vollkommen übertriebene und nicht haltbare Aussage ist, dass es zum guten Ton gehörte, Camus als Dichter und Denker nicht ernst zu nehmen. Man müsste aber mal nach Statements von Barthes oder Bordieu suchen, die ihre Haltung zu Camus widerspiegeln. Kann jemand ad hoc weiterhelfen? Gruß urb
Comment: urb – 15. Februar 2010 @ 10:06