Netzwerken als Utopie? Das allein genügt vermutlich nicht. Aber durch Zusammenschlüsse vieler im Web kann etwas außerhalb des Netzes bewirkt werden. Die typischen Technikthemen werden dort wohl nie aussterben, aber sie bekommen mächtig Konkurrenz. Inhalte ins Internet hineintragen ist genauso wichtig, wie den durch kollektiven Rückhalt gestärkten Transfer in die Faktizität zurück zu schaffen. Dafür gibt es mittlerweile viele Beispiele: 2aid.org ist eines davon. Fast aus dem Nichts und mit Hilfe von über Facebook und Twitter zusammengetragenen Kleinstspenden wird Uganda mit Brunnen versorgt, die das Überleben vieler Menschen sichern. Das Gespräch mit der 2aid-Mitarbeiterin Petra Borrmann gab Einblick, wie diese erst im Juli vergangenen Jahres gegründete Organisation arbeitet und ihrer Utopie Gestalt verleiht.
Ein wenig überrascht hat mich die Interpretation des Utopiebegriffs in der Philosophie-Reihe auf Arte.tv: Alle von Frédéric Rouvillois ausgemachten Utopien wurden von ihm als faschistische Staatsgebäude identifiziert. Die vorgestellten Entwürfe mögen wohl zu großen Teilen totalitären Charakter haben, aber Rouvillois bestätigt seine These mit der Auswahl, die er trifft. Er klebt an diesen scharf umrissenen Beispielen und lässt die besseren beiseite. Er wird dabei weder dem utopischen Denken gerecht, noch stellt er sich die Frage, was wäre, wenn die Menschen aufgeben würden, sich über die Möglichkeit von besseren Welten Gedanken zu machen. In der Diskussion hat Kathrin zur Frage »Ist Utopie totalitär?« bemerkt: »Auf dieses Argument stößt man leider sehr häufig. Doch wird nicht das Bestehende selbst totalitär, wenn es jede Denkbewegung nach draußen in den Verdacht des Faschismus stellt und damit verwirft? … Allerdings ist diese Art der Diskreditierung utopischen Denkens ein typisches Argument der Jetztzeit, die von sich in ihren ideologischen Überhöhungen glaubt, eines bestmöglich verwirklicht zu haben, nämlich die Freiheit (als Gegensatz zum beschworenen Totalitarismus).«
Die Freiheitsgrade des menschlichen Gehirns sind es, die den Utopisten faszinieren. Das Potenzial, sich aus dem Spektrum bloßer Reaktionen auszuklinken und Alternativen zu entwickeln. Das ist klar in den Vordergrund zu stellen. Aber was tut die Neurowissenschaft? Sie gefällt sich in der Entmachtung des Subjekts und geht alten positivistischen Leidenschaften nach. Auch hier möchte ich Kathrins Kommentar zitieren: »Welche Fragen stellt die Hirnforschung ganz sicher nicht? Solche, die die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen von Hirnentwicklung, Willensbildung, Verhalten und Handlungsmöglichkeiten betreffen – auch damit eignet sie sich perfekt zu einer Zementierung des Herrschenden.«
Albert Camus ist 50 Jahre tot, nicht aber seine Revolte. Sie ist die Weigerung des Menschen, als Ding behandelt und auf die bloße Geschichte zurückgeführt zu werden. Sein kreativer Widerstand, sein Aufruf, neue Denkwege für eine menschenwürdige Zukunft zu finden, stellt ihn in die Reihe der Gewährsmänner der Hyperbaustelle. Wie sehr müsste er sich am Standpunkt der Neurowissenschaften reiben?
Wer ist das freundliche Gesicht der Katastrophe, das es trotz aller Sympathie nur erschwert, die wirklichen Abgründe wahrzunehmen? Barack Obama muss langsam aus den Startlöchern kommen, wenn er seine Vorschusslorbeeren nicht endgültig verspielen will. Er friert gerade alle Gelder ein, die nicht Sicherheit und Verteidigung betreffen. Volker Pispers und Robert Kurz finden da deutliche Worte.
Wie sehr Technik Wahrnehmung und Kommunikationsverhalten verändern kann und in ganz andere Dimensionen verlagern kann, damit beschäftigten sich die beiden Tagebucheinträge aus der Zukunft. Wenn Geschichte zur Droge wird, an der man sich berauscht, und das leibliche Vis á vis von seinen Holo-Doubles an die Wand gespielt wird, gehört Schizophrenie zum guten Ton in der Gesellschaft. Dass Globalisierung sich nicht auf die Wirtschaftskreisläufe ausdehnen, sondern eine kleine, aber wandlungsfähige Produktion in der Region stattfinden sollte, dafür plädiert die Stimme von morgen.
Last but not least: Die Blogrolle der Hyperbaustelle ging online. Erfahrt, was urb und nov lesen:
Die vorherigen Monate im Überblick:
Über den Zusammenhang von Utopie und Kunst bei Ernst Bloch schreibt Anette Schlemm in ihrem Philosophenstübchen-Blog. »Die Kunst, in der wir Gestaltungen dieser Utopie finden können, ist für Ernst Bloch eine tätige Umarbeitung der Welt, als eine die Welt durchaus erweiternde und wesenhaft vermehrende.« Interessante Betrachtung, die allen Sprachen der Kunst eine besondere Bedeutung gibt.
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Dieser Rouvillois, ist der nicht eh spin doctor in so ner neurechten Denkfabrik?
Comment: mule – 07. Februar 2010 @ 16:46
Stimmt! Er hat für die rechtsliberale, der konservativen Partei UMP nahe stehende Denkfabrik Fondation pour l’innovation politique gearbeitet. Er hat sich da beispielsweise beim Niederbügeln einer Protestaktion der Obdachlosenorganisation Enfants de Don Quichotte für einklagbares Wohnrecht verdient gemacht. Gruß urb
Comment: urb – 15. Februar 2010 @ 10:20