So viel Utopie aus den USA hätte man gar nicht erwarten können – ich meine eine, die ihre Weisheit nicht aus Star Trek, Transformers oder X-Men schöpft, sondern auf gründlichen Analysen und einem weiten Horizont aufgebaut ist. Jeremy Rifkin schreibt in seinem Buch »Die emphatische Zivilisation« von einer einmaligen Chance, die die Menscheit aber auch gründlich vermasseln kann. Denn um den sich aktuell immer stärker ankündigenden Krisen und Katastrophen zu entkommen, muss sie sich ändern, global und von Grund auf, um den Widerspruch von wachsendem empathischem Bewusstsein und zunehmender globaler Entropie zu überwinden, die sich vor allem in der verknappenden Plünderung unseres Planeten und dem Klimawandel bemerkbar macht.
Jeremy Rifkin tritt den Beweis gegen eine negative Anthropologie an, dass die Menschen eine empathische Spezies sind. Was Ernst Bloch in seinem »Prinzip Hoffnung« versuchte, führt Rifkin mit viel Einblick in politische, gesellschaftliche und wissenschafliche Systeme fort: Er liefert ein anderes Bild der Geschichte, das nicht mehr von einer »Pathologie der Macht« bestimmt ist, sondern alltägliche und Kontinuität bildende Erzählstränge in den Fokus rückt, die unsere Zivilisation empathisch prägen: Hier sind beispielsweise die Einfühlung als Grundbegriff der Ästhetik, der Beginn des therapeutischen Denkens oder die wissenschaftlichen Befunde über die Spiegelneuronen zu nennen. Er erzählt eine Geschichte der Hoffnung innerhalb enger thermodynamischer Grenzen, die uns durch den Wandel von verfügbaren in nicht verfügbare Energien gesetzt sind.
Empathie bedeutet für Rifkin und für jeden einigermaßen kritschen Beobachter das Ende des verschwenderischen, narzisstischen und machtbessenen Denkens, geleitet durch die Einsicht in unser unperfektes, verletzliches und sterbliches Wesen. Diese Einsicht können wir einfühlend miteinander teilen und auf die gesamte Biospäre ausweiten. Die Möglichkeit hierfür schafft ein weltumspannendes Kommunikationsnetz, das die Entwicklung einens dezentraliserten Kapitalismus befördern kann. Weil der Erfolg einer Kultur durch ihren Energiefluss und dessen Verwaltung durch die entsprechenden Kommunikationsmittel bemessen ist, ist ein nachhaltiges Gleichgewicht der Biosphäre nur durch das Auflösen des Widerspruchs von Empathie und Entropie herzustellen. Ohne komplette Umrüstung auf erneuerbare Energien wird dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt sein.
Dabei macht Rifkin die Milleniumsgeneration zum Hoffungsträger, ihr dramaturgisches Bewusstsein und ihre theatralische Ich-Konstruktion zur Keimzelle der dritten industriellen Revolution. Der 1943 geborenen Think tank attestiert der Jugend, die sich in sozialen Netzwerken engagiert, viel Problemlösungspotenzial, Gemeinschaftssinn und Beziehungsfähigkeit, ohne die andere Seite, ihren Narzissmus und Exhibitionismus, auszublenden:
»Die junge Generation scheint zwischen Narzissmus und Empathie hin und her gerissen zu sein. Der langfristige Rückgang der Weltwirtschaft wird den narzisstischen Impuls wahrscheinlich schwächen, denn wenn es um das eigene und kollektive Überleben im globalen Chaos geht, wird persönliches Ruhmstreben als Größenwahn abgetan und belächelt werden.« (S. 415)
Zu schön, um wahr zu sein? Ein pessimistischer Skeptizismus gegenüber Rifkins Entwurf ist verständlich, wenn man auf das globale Chaos, am Schwelen gehaltene Kriege und die Zockermentalität der Finanzwelt blickt. Aber Pessimismus angesichts gut verargumentierter Visionen ist nichts, was uns weiterbringt und leicht zu einem weiteren Sargnagel werden kann. Rifkin liefert jedenfalls so viele Denkanstöße, dass Zyniker ihre Miesmacherei als Denkfaulheit begreifen lernen könnten. Ob sein Vertrauen in eine Ausweitung des empathischen Bewusstseins begründet ist, wird sich zeigen.
Jeremy Rifkin
Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein
468 Seiten
EAN 9783593385129
26,90 Euro
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Interessantes Buch, danke für den Tipp. Habe Rifkins Bücher, die in dem 3sat-Beitrag vorgstellt werden, gerne gelesen – sehr kritisch, mit vielen guten Ideen. Gruß Paul
Comment: paul – 26. Mai 2010 @ 21:23
[…] auf der Hyperbaustelle, wo Urb ein wenig mehr dazu schreibt. Und zum Fazit kommt: “Zu schön, um wahr zu sein? […]
Pingback: Hoffnung auf die Jungen: Rifkins empathische Zivilisation – 31. Mai 2010 @ 22:14
Gute Idee, das gängige Menschenbild (des egoistischen, konkurrenzliebenden Einzelkämpfers) zugleich als falsch zu kritisieren und das Gegenbild auch als anzustrebende, ja fast unausweichliche Norm aufzubauen. – Bezüglich des Menschenbildes stimme ich zu und freue mich über diesen Vorstoß!
Leider zeigen aber die aktuellen Beispiele und der Versuch einer positiven Lesart der Geschichte, meine ich, doch sehr deutlich, dass Mitleid/Empathie gegen ökonomisch-politische Bedingungen nicht viel bewirken kann. Dass sich zur Empathie auch wieder die Analyse dessen, was zu der bemitleideten Armut etc. erst führt, gesellen muss.
Trotzdem: sehr wichtig bleibt für mich an diesem Beitrag: wir brauchen nicht eine abstrakte, auf Pflicht und Tugend gegründete Moral, um zu verstehen, dass das Wohlergehen unserer Mitmenschen für uns selbst die Steigerung, und nicht die Verringerung, von Möglichkeiten, positiven Erlebnissen und dem generellen Zuhausesein in der Welt bedeutet!
Comment: Kathrin – 19. Juni 2010 @ 00:16
Dein Fazit, Kathrin, möchte ich noch ergänzen: Das weitverbreitete Argument einer negative Anthropologie muss widerlegt werden. Denn sie stellt die Rechtfertigung dar, keinen guten, sozialen Ansatz mehr verfolgen zu müssen. Der Mensch ist von Natur und von Grund auf schlecht, da hilft keine Utopie, kein Besinnen auf die Möglichkeiten eines Miteinander, so in aller Plattheit die Begründung. Rifkin liefert überzeugende Belege, die den Menschen als mitfühlendes Wesen zeigen. Er verschweigt nicht, dass diese Wesenheit des Menschen bislang nicht zum zentralen Moment unserer Kulturen geworden ist, auch wenn sie gerade in unmenschlichen Szenarien koexistiert. Entscheidend wird künftig sein, dass politische und wirtschaftliche Machtausübung mehr und mehr einer anderen Logik folgt.
Comment: urb – 19. Juni 2010 @ 14:10
[…] noch über die Entdeckung der Spiegelneuronen zu stellen, wie sie Jeremy Rifikin in seinem Buch »Die empathische Zivilisation« als Beleg für die empathische Grundausrichtung des Menschen heranzieht. Denn gleicht sich ein […]
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Pingback: Jeremy Rifkin: mit Volldampf in die empathische Zivilisation … | H.Blog: Homöopathie & Forschung – 14. November 2010 @ 13:09