nov, 16. Juni 2110Ich stehe an der Küste und schaue hinaus auf das Meer, das sich von den Ölverseuchungen seit der Abschaffung von Bohrinseln in den vergangenen 70 Jahren ein wenig regenerieren konnte. Die Wasserlilie ragt wie ein riesiger Turm aus dem Wasser. In ihr wohnen und arbeiten 30.000 Menschen. Auf den flachen Ausläufern befinden sich Gärten und Felder – ein grandioser Anblick aus der Ferne. Sehe ich hier ein Symbol der Selbstüberhebung, das Strafe nach sich ziehen wird? Immerhin schuf der Mensch Land auf dem Wasser. Die Bevölkerung der Lilie ist über die neuesten Kommunikationsmittel informativ gleichgeschaltet. Ein ungeheures elektronisches „Geplapper“ (hebräisch: Babel), in das sich auch andere Türme einmischen, geht von dieser Stadt aus. Warum sollte diesem Wunderwerk eine babylonische Sprachenverwirrung folgen? Das Einzige, was mich beunruhigt, ist der Umstand, dass die Küste immer weiter Richtung Böhmen zurückweicht. |
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nov, 7. Juni 2110Habe mich gerade in die Computer und Cams einer großen Wasserlilie eingeloggt. Erstaunlich, wie schnell sich das urbane Leben auf das Meer verlagert hat. Zuerst war es ja eher eine Notmaßnahme: steigender Meeresspiegel, ergo: schwimmende Häuser – Landgewinn für Japaner, Niederländer und Inselstaatenbewohner. Inzwischen sind wir Landratten in der Minderheit. Viele ziehen das Leben in diesen Aufsehen erregenden Architekturen vor, die von keiner Naturkatastrophe in Mitleidenschaft gezogen werden können. Mit einem E-Logistiker der 30.000-Einwohner-Lilie stehe ich in Kontakt. Er arbeitet im 12. Stockwerk unter Wasser. Auf meine Bitte hin richtet er hin und wieder die Kamera durch das riesige Bullauge nach draußen. Ich sehe viele Tentakel von oben ins Wasser greifen. An ihren Enden sind verschiedene Geräte befestigt, mit denen die Stadt im Meer stabil gehalten, Strömungsenergie gewonnen oder Abwasser verteilt und zersetzt wird. Roboter, die ihre Reparatur-arbeiten verrichten, und Fische durchziehen in Schwärmen das Bild. |
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nov, 2. Juni 2110Nach dem Zusammenbruch der Geldwirtschaft hat sich eine elementare Währung herausgebildet: der Wasserverbrauch. Wir messen alle Dinge in Litern Wasser, die zu ihrer Herstellung benötigt werden.
Mit jemandem sein Wasser zu teilen, ist das größte Gastgeschenk, ganz wie es die Fremen aus der alten Schwarte »Wüstenplanet Dune« hielten. Dass ein fantastisch anmutendes Buch so viel Wirklichkeit enthalten könnte, überrascht mich immer wieder, wenn Gloria und ich feierlich unsere Lippen mit nicht aufbereitetem, tiefem und deshalb nicht erneuerbarem Grundwasser benetzen. |
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