Mit dem Fall der Berliner Mauer scheint eine Utopie verwirklicht, die der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama mit seinem Buch »Das Ende der Geschichte« beschrieben hat. Aber die globale liberale Weltgemeinschaft ist ein rigides Ungleichheitssystem, das nicht nur politisch, sondern mittlerweile auch ökonomisch gescheitert ist. Diesen Beweis tritt Slavoy Zizek überzeugend an.
Die heutige Zeit erklärt sich für postideologisch, was man als ihre Ideologie bezeichnen könnte, die sich jeder ethischen Idee, streng genommen, jeglichen Inhalts entledigen will. Folglich erkennt Zizek diesen radikalen Historismus und Formalismus als die ideologische Gestalt des postmodernen globalen Kapitalismus, die uns vor allem eines zu verstehen gibt:
»Die Überlegenheit des Kapitalismus wird aus der Natur des Menschen, seiner Emotionalität und seiner mangelnden Rationalität, selbst erklärt.« (S.22) »Die wichtigste Aufgabe der herrschenden Ideologie besteht folglich angesichts der aktuellen Krise darin, eine Erzählung zu etablieren, welche die Schuld für den Zusammenbruch nicht dem globalen kapitalistischen System als solchem zuschreibt, sondern lediglich sekundären, zufälligen Abweichungen vom ursprünglichen Plan. (…) Die Gefahr besteht am Ende also darin, dass sich am Ende eine Erzählung durchsetzt, die uns nicht aufweckt, sondern die es uns ermöglicht weiterzuträumen.« (S. 23)
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Mir scheint, wenn man Zizeks radikale Weiterführung der Kritischen Theorie mit konkreten Gesellschaftsutopien wie etwa eines Andre Gorz zusammen denkt, ließen sich daraus auch handlungsleitende Strategien für eine sozial und wirtschaftlich gerechtere Weltpolitik entwickeln. Der Nihilismus bedingt das Werden. Manchmal.
Comment: Werner Friebel – 07. September 2010 @ 00:58
Irrer Typ dieser Zizek! Mich überzeugt das Argument, dass im Zeitalter der „Postideologie“ Ideologie nicht mehr aufgrund eines fanatischen Engagements funktioniere, sondern vielmehr umgekehrt aufgrund einer inneren Distanz und Gleichgültigkeit. Das erklärt vieles!
@werner friebel: Interessante Idee! Auch wenn ich das theoretisch nicht ausmessen könnte.
Comment: paul – 07. September 2010 @ 13:25
@werner friebel: Mit Andre Gorz müsste man sich mal näher beschäftigen, Stichwort Arbeiterselbstverwaltung, Wissen als Gemeingut oder ökologisch verträgliche Umgestaltung liberaler Gesellschaften; und die utopische Potenz des Nihilismus wäre zu überdenken.
Comment: urb – 24. September 2010 @ 20:27
[…] Negt und Slavoy Zizek nehmen beide ein kritische Haltung dem Kapitalismus gegenüber ein. Mögen die beiden Positionen […]
Pingback: Hyperbaustelle » Herbstwandel | Utopie-Blog – 02. Dezember 2010 @ 09:50
Mit diesem Denker werde ich mich mal näher auseinandersetzen. Danke für den Artikel. Hat jemand einen Link, wo seine Grundaussagen zusammengefasst dargestellt werden?
Comment: Rob Randall – 24. Februar 2011 @ 16:19
@Rob: Ich empfehle dir den Link oben zu den Philosophischen Schnipseln, außerdem das Zentrum für Kunst und Medientechnologie http://on1.zkm.de/zkm/dossier/zizek, Telepolis http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32157/1.html, http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,704729,00.html, ein Wiki gibt es auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Slavoj_%C5%BDi%C5%BEek
Comment: urb – 25. Februar 2011 @ 10:21