Das würde Michael Haneke abstreiten. In einem Interview mit der taz zu »Das weiße Band« macht er klar, dass er selbst keine Rezepte anzubieten hat, wie bestimmte Probleme zu lösen wären. Aber diese Aufgabe übernimmt seine Ästhetik der Reduktion. Haneke weiß, dass sich die Suche nach Antworten im Kopf des Betrachters abspielen muss. Deshalb vermeidet er didaktische Zeigefinger und hat die Botschaften ins Off und verlagert. Hier muss der Rezipient tätig werden und selbst Substanz liefern. So wie Lösungen immer gemeinsam entwickelt und getragen werden müssen und nicht von einem Punkt aus verordnet werden können. Dann sind sie keine. Mit Sicherheit ein Problem der bis in den hintersten Winkel ausgestalteten literarischen Utopien.
Lösungen ergeben sich in Hanekes Filmen nur im Dialog mit den Zuschauern, die er zum Nachdenken provoziert. Ex negativo, könnte man sagen, liefert der Film »Das weiße Band« ein Bild einer humanen Erziehungsmethode und des verständnisvollen Umgehens miteinander. »Cache« zeigt, dass man Verfehlungen aus der Kindheit anders als der Protagonist zumindest als Erwachsener korrigieren sollte, bekommt man hierzu die Chance. Die »Klavierspielerin« enthält in invertierter Form eine Vision der menschenwürdigen Kunstausübung.
Aus »Code:Unbekannt« könnte man dauernd versagenden Kommunikationscodes entnehmen, wie sie eigentlich beschaffen sein müssten, um beim Nächsten anzukommen. Die Not des taubstummen Mädchens, das einen Begriff darzustellen versucht, der aber nicht erraten wird, wird dem Film buchstäblich als Sinnbild für den im Fragmentarischen isolierten Menschen vorausgeschickt. Der Titel leitet sich vom Türcode zur Wohnung von Jeanne und Georges ab. Georges Bruder will bei ihnen unterkommen, kennt aber den Nummernkombination nicht. In immer wieder neuen Episoden wird deutlich, dass sich innere Beweggründe im Versuch ihrer Vermittlung fast in ihr Gegenteil verkehren. Auch jemand, der helfen will, kann so immensen Schaden anrichten.
Die härteste Herausforderung an den Interpreten stellen vielleicht die »71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls« dar. Schließlich wird der Amoklauf des Studenten durch eine zufällige Konstellation ausgelöst – ein Ausbruch im Affekt, der schlecht zu kontrollieren ist. Nur hat man vorher in vielen Fragmenten bereits gesehen, dass sein Umfeld mit extremen Druck agiert und dadurch den Boden für gewalttätige Reaktionen bereitet. Eine ideale Gesellschaft müsste, so könnte der Rezipient folgern, solchen individuellen Auslösern entgegenwirken, indem sie jungen Menschen Raum zu ihrer Entfaltung lässt und ihnen Verständnis entgegenbringt.
Lest auch:
Interview in der taz: „Liebe ist zu wenig“, 10.10.2009, mit der Aussage Hanekes, dass er mit dem arbeitet, was außerhalb des Bildrahmens stattfindet.Interview auf Spiegel online mit zwei entweder sehr geschickt provozierenden oder Haneke trottelig mit ihren Traumfabrikvorstellungen quälenden Redakteuren, 19.10.2009
Artikel im Freitag: Blackout – „Code:Unbekannt“, 2.2.2001, mit dem Fazit, dass der Zuschauer bei Haneke nicht ins Kino tappt wie in eine Falle.
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Also in diesem Interview redet eigentlich ja nur Alexander Kluge. Haneke pflichtet meistens bei oder tut übrrascht: Tatsächlich, das habe ich nicht gewusst. Das braune Band, die höchste Auszeichnung in Nazi-Deutschland, passt.
@urb: Was du vielleicht hättest auch mit besprechen sollen: Funny Games! Nicht die amerikanische Version.
Paul
Comment: paul – 19. Januar 2011 @ 14:16
[…] Filme Michael Hanekes zeigen, dass ästhetische Gebilde mit einer offenen Struktur, einen demokratischen Effekt erzielen. […]
Pingback: Hyperbaustelle » Ökonomiediskussion im Januar | Utopie-Blog – 07. Februar 2011 @ 11:31