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Endzeit-Sozialdrama mit grotesker Körperkonzeption

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Neuer Mensch, o werde! Ein flehender Wunsch der Expressionisten kurz vor der Zeitenwende und dem Absturz ins Chaos des 1. Weltkriegs. Ganz andere neue Menschen geistern über die TV-Bildschirme und bescherten den Zuschauern die weltweit bislang erfolgreichste US-Serie: The Walking Dead. Die groteske Dystopie fragt nicht mehr nach dem neuen Menschen, sondern danach, wie man in der Barbarei Mensch bleiben kann. Eine utopische Bankrotterklärung?

Der Zombie stöhnt und schleppt sich mit den Händen durch den Park. Er wirkt schauerlich, aber ungefährlich. Denn erfreulicherweise fehlt ihm der untere Teil des Körpers. Er läuft in einer blutig verschlammten Wirbelsäule aus. Ein echter Hingucker. Eigentlich ist er oder es ja auch eine Sie. Aber darauf kommt es bei dieser reduzierten Seinsweise wohl kaum an.

Zombie steht nicht nur für die pure Lust am fordistisch produzierten Horror, sondern ist der Sammelbegriff für eine immunologisch degenerierte Menschheit. Filmisch wird dies in der Serie The Walking Dead mit einer opulenten grotesken Körperkonzeption inszeniert. Es werden menschliche Körper gezeigt, die vollends entmenschlicht sind: Hüllen, ohne Erinnerungen, Emotionen, Schmerzen – ohne Selbstschutz, Kommunikationsfähigkeit und Seele. Die schaurigen, entstellten Abbilder werden allein vom Fresstrieb durch die Endzeit gezogen.

So macht man einem Beißer, wie die Zombies genannt werden, am besten durch einen gezielten Messerstoß oder Schuss ins Gehirn den Garaus. Die zermatschten Köpfe sind ein groteskes filmisches Highlight. In ihnen hat das Stammhirn die posthumane Kontrolle übernommen. Das muss ausgeschaltet werden, was in einer Art endzeitlicher Breitensport ausgelebt wird. Die Wut auf die eigene Triebhaftigkeit, die eigene Ohnmacht, die erlebten Verluste schwingt in jedem beserkerhaften Schlag mit Machete oder Baseballschläger mit. Die Massakrierung eines Beißers bekommt eine besondere Note, wenn dieser ein ehemals bekannter oder sogar geliebter Mensch gewesen war.

Aber auch die Überlebenden sind einer Wandlung unterworfen. Sie erleben den eigenen Körper als zunehmend grotesk. Zunächst schlicht aus dem einfachen Grund, weil sie aus dem gut funktionierenden medizinischen Netz herausgefallen sind und sich selbst auf meist äußerst unkosmetische Weise helfen müssen. Um aus Handschellen zu entkommen, muss ein Zurückgebliebener sich schnell mal von seiner rechten Hand trennen. Nach einem Zombiebiss wird einem anderen der Unterschenkel unter dem Knie mit der Axt amputiert. Vollkommenes Schaudern erregt allerdings die Entdeckung, dass alle Menschen nach ihrem Tod zu Zombies mutieren, ob sie nun gebissen wurden oder nicht. Diese über das eigene Leben hinaus verlängerte Heimsuchung hat den Beigeschmack der transzendentalen Obdachlosigkeit, wie sie Georg Lukacs einst beschrieb. Die entindividualisierten Wiedergänger befinden sich in einem Immanenzgefängnis, dem nur der Gnadenstoß ins Gehirn ein Ende bereitet.

Ein solcher Körper ist denkbar weit von der romantischen Vorstellung eines Tempels der Einbildungskraft entfernt. Er ist dem permanenten Übergang geweiht, er lebt im Defizit. Nur die unterschiedlichen Formen der Verstümmelung weisen ihm seinen individuellen Wert zu, prägen seine Geschichte. Vergleichbar etwa mit einer Tätowierung, die den Sinn auf der Oberfläche zeigt, weil seine Verankerung in einem Wertesystem fehlt. Ist hier ein Rückschluss auf unsere Kultur der Entäußerung und Entfremdung erlaubt? Zeigt sich in solchen Entwürfen ein Ergebnis der fortwährenden Materialisierung oder Verdinglichung des Menschen?

Eine Faszination dieser Serie mag davon ausgehen, dass eine Gesellschaft auf eine überschaubare Gruppe zusammenschrumpft, für die wir eigentlich auch gemacht sind. Die Mitglieder einer solchen Gruppe stehen bedingungslos für einander ein. Das Verhalten zu anderen Gruppen ist allerdings vor allem von Misstrauen und Brutalität geprägt. Kannabalismus, das gnadenlose Recht des Stärkeren und auch verlogenenes Demagogentum werden als Negativbeispiele gezeigt. Die Diskussionen zwischen den Helden aus The Walking Dead sind demgegenüber von der Frage beherrscht, wie es möglich ist, in dieser veränderten Welt etwas von einem intakten sozialen Gefüge zu bewahren. Sie empfinden die eigene Verrohung und arbeiten gegen sie an. Der Anführer, Rick Grimes, ein ehemaliger Polizist und Vater versucht, trotz aller Gefahren und eigenen Ausrastern menschlich zu bleiben. Er weiß, Töten ist ein notwendiges Instrument, das Überleben der Gruppe und seiner Kinder zu sichern. Allerdings verzögert er dieses sozialdarwinistische Muster. Er reagiert nicht einfach nur, sondern wartet ab, ob ein Fremder nicht doch eine Chance verdient. Dies scheint alles zu sein, was der Moralbegriff noch hergibt, die einzige Form der Utopie in der Barbarei, etwas also, was nicht von dieser Welt ist und trotzdem praktiziert wird …

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 08. Februar 2015 um 11:54 Uhr von urb veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Literatur / Film abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen. Du hast die Möglichkeit einen Kommentar zu hinterlassen, oder einen Trackback von deinem Weblog zu senden.

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