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Digitales Naturerleben

Die beliebtesten und angesagtesten Beiträge auf Google+, Minimum 200-mal geplusst, sind erstaunlicherweise Naturfotografien. Und das jeden Tag. Wie kommt dieses Phänomen zustande? Warum bewerten die User ausgerechnet in digitalen und technikaffinen Medien die entspannende und künstlerische Naturfotografie so hoch? Ein letztes Zucken der Naturverbundenheit? Ein kontemplativer Ausgleich inmitten aller Beschleunigung? Oder gibt es das Erhabene nicht nur in der Natur, sondern auch im Internet?

Nationalpark Unteres Odertal, Foto von Dirk Nowak, Quelle Google+

Was ist der Reiz an der Naturfotografie im Internet? Ihre Motive taugen nicht gerade zur Selbstbespiegelung. Wie passt das zu einem narzisstischem Medium? Sie verlangt Innehalten und Betrachtung. Wie passt das zu den schnellen Informationsflüssen unserer Zeit? Fakt ist, dass sich Aktionen wie #naturephotochallenge großer Beliebtheit erfreuen. Im Rahmen dieses Aufrufs stellte jeder Fotograf fünf Tage lang jeweils eine Naturfotografie ins Netz. Beteiligung und Rezeption zeigen, dass die Naturfotografie einen Nerv in den sozialen Medien trifft, der thematisch dort eigentlich nicht nahe liegt.

 

#naturephotochallenge, erstellt mit ImageQuilt

 

Wie im schönen Naturerleben entspannt man sich beim Betrachten dieser Bilder. Es teilt sich alles, was man wissen muss, mit einem Mal mit. Man versenkt sich ins Bild, ohne vom einem Kaufimpuls getrieben zu werden. Anders als bei einem Medien- oder IT-Thema ist diese visuelle Information nicht durch einen Aktualitätsanspruch beschleunigt, hört im Betrachten vielleicht sogar auf, Information zu sein. Die Naturfotografie löst kein Kompetenzgerangel aus, kein Für und Wider in unendlich ausdifferzierbarer Diskussion, sondern vermittelt unterschwellig Stimmungen. Sie ermüdet nicht, wie die dauernd wiederholten, üblichen digitalen Themen, wo zwischen unbedeutenden Nuancen unterschieden wird, sondern bringen das Wesen eines ökologischen Netzes auf den Punkt, ohne zu argumentieren.

Bei Fotografien der Natur gebe ich im Internet zudem keine persönlichen Informationen preis, wie zum Beispiel bei Familienbildern oder anderen sensiblen Daten. Wer Naturfotografien ins Internet stellt, möchte stattdessen andere an seinem Naturerleben partizipieren lassen. Natur wird in ihrer subjektiven Potenz digitalisiert, um im Netz gemeinschaftlich genossen zu werden. In der Natur und im Cyberspace möchte der Einzelne teilhaben am Großen und Ganzen. Beiden Welten könnte möglicherweise eine Qualität des Erhabenen zugebilligt werden. Nach Kant charakterisiert das Erhabene die geistige Überwindung der sinnlichen Natur des Menschen. Angesichts des Erhabenen fühlt dieser sich überwältigt. Der Kontrollverlust mag Angst einflößen, aber die Erfahrung des Erhabenen erzeugt im Subjekt auch erhabene Ideen, in dem sich die Vernunft quasi in ihrer Größe selbst erkennt.

Die Naturfotografie bindet das Erhabene ins Schöne zurück, vermittelt Subjekt, Natur und Cyberspace und lässt bei aller Selbstüberwindung ein angenehmes Gefühl zurück. In ihr spürt man die Anwesenheit des Menschen nur in der Komposition des Bildausschnitts. Der Fotograf versenkt sich in eine Landschaft, ohne vollends eins mit ihr zu werden. Denn er will ein Abbild schaffen, das perfekter ist als die Natur selbst. Ästhetische Naturoptimierung hat, wie es Schopenhauer bereits dachte, das Ziel, der Natur in ihrer Formensprache auf die Sprünge zu helfen. So sind auf den auf Google+ täglich gesichteten und hoch bewerteten Fotografien durchweg besonders komponierte oder beleuchtete Landschaften zu finden. Wie oben beim Bild des Fotografen Dirk Nowak spielt das Licht dabei eine besondere Rolle. Licht kann selbst den gewohnten Blick aus dem Fenster unwirklich werden lassen. Es zeigt die Anwesenheit paralleler, vielleicht sogar transzendentaler Ebenen im ansonsten wohl Bekannten. Erinnert fühlt man sich bei solchen Fotografien an die nahezu unecht wirkenden Farbenspektren der Romantik, deren Künstler uns die Überschreitung der alltäglichen sichtbaren Welt nahelegten.

Aber machen wir es nicht zu kompliziert: Schön, dass es diese Inseln des selbstversunkenen Anschauens auch dort gibt, wo ich sie am wenigstens vermutet habe, sei es aus welchen Gründen auch immer …

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 26. Februar 2015 um 21:12 Uhr von urb veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Medien / Web, Musik / Kunst, Politik / Gesellschaft abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen. Du hast die Möglichkeit einen Kommentar zu hinterlassen, oder einen Trackback von deinem Weblog zu senden.

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