Neuer Mensch, o werde! Ein flehender Wunsch der Expressionisten kurz vor der Zeitenwende und dem Absturz ins Chaos des 1. Weltkriegs. Ganz andere neue Menschen geistern über die TV-Bildschirme und bescherten den Zuschauern die weltweit bislang erfolgreichste US-Serie: The Walking Dead. Die groteske Dystopie fragt nicht mehr nach dem neuen Menschen, sondern danach, wie man in der Barbarei Mensch bleiben kann. Eine utopische Bankrotterklärung?
Vor einiger Zeit besuchte ich eine Veranstaltung, auf der Fritz Reheis sein Buch „Wo Marx Recht hat“ vorstellte. Anhand von 12 Thesen zeigte er, welche ökonomischen Entwicklungen Marx antizipiert hatte. Diese Thesen über Marx bzw. von Marx schieben den Vorhang unseres Verblendungszusammenhangs einen Augenblick beiseite. Es wird deutlich, wie fremd die Welt, in der wir leben, eigentlich ist.
Marx was right; Flickr-Fotostream von "the justified sinner"
Die FDP treibt im eigenen blinden Fleck. Frühkindliches scheint immer wieder in ihr hochzukochen. Umso weniger überrascht die Identifikation Brüderles mit Winnetou: Auch Karl Mays Schriften sind Ausgeburten einer verdrängten, scheinbar jugendfreien Sexualphantasie und billig konstruierter Sozialromantik.
Winnetou und Old Shatterhand - das Traumpaar der 60er-Jahre.
Michael Haneke schafft in seinen Filmen konsequente Antiutopien: Er zeigt, wie es eigentlich nicht sein dürfte. Warum haben seine beängstigenden Negativbilder trotzdem eine positive Wirkung? Weil der Zuschauer nicht dramatisch überrumpelt, sondern einbezogen wird, entsteht das Gefühl, dass Missstände zu erkennen und deshalb unter Umständen zu ändern sind.
Für Webpioniere war der Hypertext eine Utopie der subjektiven Verknüpfungen. Weil alles mit allem verbunden werden kann. Weil die Herkunft des einzelnen Textelements (der Autor) in großen Netzcollagen ins Schweben gerät. Ist dieses Attest in einem auf Vermarktung abzielenden Umfeld eigentlich gerechtfertigt? Bedenkzeit auf der Hyperbaustelle.
Der Lyrikdienst von Martin Auer liefert mit jedem Reload der Seite einen neuen Haiku per Zufallsgenerator. Ein schöner Kontrast: Mitten im globalen Hypertext wählt Auer diese vollkommen in sich ruhende Form.
Philip K. Dicks Werk ist von einer zentralen Gedankenfigur beherrscht: der Überlagerung. Unsere Wahrnehmungen überlagern sich auf verschiedenen Schirmen und zeigen, wie wenig integer unsere gängigen Realitätsschichten sind, dass wir permanent manipuliert werden und dass sich das Eine besonders im Anderen versteckt.
Mit seinem Buch »Auf verlorenem Posten« liefert der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker ein kritisches Bild des Kapitalismus und der liberalen Utopie, die so freiheitlich und offen daherkommt, aber im Grunde das perfideste Stück Ideologie ist, dem sich die Menschheit bislang untergeordnet hat.
Der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoy Zizek ist ein leidenschaftlicher Kritiker des Kapitalismus.
Die IT-Branche hat leider nicht kapiert, dass sie uns dienen soll, und nicht wir ihnen. Wenn Pigor Rache für die gebrochenen Versprechen von IT fordert, spricht er vielen aus dem Herzen, und das mit einem Sprachwitz und einer schauspielerischen Glanzleistung, die Mut geben im Kampf gegen die Maschinen und den Jugendgerätewahn. Suchen wir den Button doch einfach nicht mehr.
Am 8. Juli 2010 wäre Ernst Bloch, der Denker des Noch-nicht und der konkreten Utopie, 125 Jahre alt geworden. Anlässlich des Jubiläums wird an den ein wenig in Vergessenheit geratenen Ketzer erinnert: ein Interview, zwei Bände ausgewählter Schriften, eine Bildmonografie, ein Zukunftssymposium und ein Wörterbuch.
Haben Sie einen persönlichen Realitätenvermittler? Thomas Bernhard hatte einen: Karl Ignaz Hennetmair, der bereits bei Harald Schmidt über seinen berühmten Weggefährten Auskunft gab und Bücher veröffentlicht hat wie »Ein Jahr mit Thomas Bernhard«. Realitätenvermittler heißen in Österreich übrigens die Immobilienmakler, aber mit diesem Begriff wäre Hennetmairs Beziehung zu Bernhard nicht angemessen gewürdigt.
Hennetmair unterwegs zur Krucka auf dem Grasberg; Foto: urb
Wie geschieht und was leistet utopisches Denken? »Antizipierte Realität« – den Vortrag des Philosophen Ernst Bloch gibt es als Podcast auf DRadio Wissen. Sollte man sich nicht entgehen lassen.
Entrückungen sind Augenblicksutopien, Almosen inmitten der Entfremdung, Tagträume der Ausgebeuteten, Trancezustände im Ungesunden. Wenn sie den Blickwechsel von Mann und Frau betreffen, bekommen sie einen schicksalhaften Überbau. Ist es die Liebe, die uns öffnet, stark macht und Hindernisse überwinden hilft? Eine sehenswerte hyperreale Fantasie der kanadischen Produktionsgesellschaft Spy Films zu diesem Thema: Nuit Blanche.