nov, 14. Januar 2111Ein Wunschtraum des Menschen ist es, Abfall zu hundert Prozent und am besten unendlich wiederzuverwerten. Oder weniger Energie in etwas zu stecken, als man dann anschließend wieder herausholen kann. Etwas, das anfällt oder abfällt, unter die Energiedusche zu stecken und nutzbar zu machen oder zumindest den Anschein von Nutzen zu erwecken. Scheinbar auch ein Grundgedanke des Fooddesigns: Da liegen Furnierabfälle herum, und ein paar Aromastoffe sind zu sonst nichts zu gebrauchen. Also machen wir doch einfach ein Früchtejoghurt draus. Fette sind sich chemisch so ähnlich, egal, ob sie natürlich vorhanden oder technisch hergestellt sind. Da sythetisieren wir doch einfach Futtermittel oder legen Oliven aus gepressten Sägespänen ein. Was haben wir gewonnen, wenn wir toten Gegenständen das Design des Neugewachsenen verpassen? Kann Hunger so gestillt werden? Ich ziehe es vor, Tabletten zu essen und mir schöngestylte Äpfel und Flugmangos aus Plastik in die Schale zu legen. Mir Kochshows dazu anzusehen und mich am Anblick echter Lebensmittel zu erfreuen. |
To be continued …
nov, 5. Januar 2111Was wird die Zukunft bringen? Eine Frage, die der Jahreswechsel seit Jahrtausenden in uns auslöst. Wenn die Computer Zahlen umstellen und die Nacht am tiefsten ist, brennen wir ein Neuronen-Feuerwerk in unseren Köpfen ab. Eigenartig, weil doch die Zukunft das ganze Jahr über auf dem Spiel steht. Früher nannte man den letzten Tag des Jahres Silvester und praktizierte die seltsamsten Bräuche: Blei gießen, Briefkästen mit Böllern sprengen, Linsensuppe essen, sich auf die Rücken schlagen oder rote Unterwäsche tragen. Aber dieses historische Fundstück legt Zeugnis über den bei weitem seltsamsten Brauch ab: »Es entschwindet das alte Jahr. / Die Kinder und der Karpfen sind gar. / Es wird gespeist.// Und wenn die Kannibalen dann satt sind,/ Besoffen und überfressen, ganz matt sind,/ Dann denken sie der geschlachteten Kleinen/ Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.« Tja, Menschenfresser waren eben auch nur Menschen. |
To be continued …
nov, 4. Dezember 2110Hatte heute eine längere Unterredung mit meinem Vater. Als seine Visionen von der Zukunft immer düsterer wurden, musste ich ihn leider abschalten. Seine Holografie sackte wieder in die Festplatte zurück, auf die seine Gedächtnisinhalte nach seinem Tod heruntergeladen wurden. Eine KI-Technologie, die sich schon Marvin Minsky im 20. Jahrhundert vorgestellt hatte. Mein Minskymat beinhaltet meine Eltern und Großeltern, mit denen ich mich unterhalten kann, wann immer ich möchte. Und ich stelle fest, dass sie auch auf der Festplatte einer Entwicklung unterliegen. Die Hologramme, die sie aussenden, verändern sich. Nicht dass sie älter würden. Mein Vater legt immer mehr Wert auf dunkle Augenhöhlen und ausgemergelte Züge. Während meine Großmutter von Session zu Session jugendlicher wird. Die Gespräche mit ihr sind geradezu paradiesisch. Sie ist davon überzeugt, dass ein goldenes Zeitalter angebrochen ist, seit die Welt die Atomkraft endgültig verabschiedet hatte. |
To be continued …
nov, 20. November 2110Gloria sagte heute zu mir, sie sei nach der Entlobbyfizierung regelrecht aufgeblüht. Als damals einem letzten Vertreter einer hartnäckigen politischen Partei in einem basisdemokratischen Übungscamp die Machtflausen ausgetrieben worden waren und sie wusste, dass von nun an jede Abstimmung über das Terminal eine Konsequenz haben würde, da hätte sie eigentlich erst zu leben begonnen. Auch war sie von Anfang an von der Idee begeistert, dass Cypols, diese braven Politroboter, über die Auswertung der Abstimmungen wachen und ihre Umsetzung garantieren. Zu wissen, dass kein Betrug mehr möglich sei, mache es ihr leicht, sich der Mehrheit zu beugen, falls diese anders als sie selbst denke. Endlich seien diese politischen Relikte, vom Gottesurteil über die Parteien bis hin zum Personenkult, vom Tisch. »Es soll Leute geben, die die Abstimmungen und Cypols hacken und manipulieren«, bemerkte ich. Ein Miesmacher sei ich, meinte sie, überhaupt triebe ich mich zerebral zu viel in der Vergangenheit herum. |
To be continued …
Der Lyrikdienst von Martin Auer liefert mit jedem Reload der Seite einen neuen Haiku per Zufallsgenerator. Ein schöner Kontrast: Mitten im globalen Hypertext wählt Auer diese vollkommen in sich ruhende Form.
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