nov, 7. Juni 2110Habe mich gerade in die Computer und Cams einer großen Wasserlilie eingeloggt. Erstaunlich, wie schnell sich das urbane Leben auf das Meer verlagert hat. Zuerst war es ja eher eine Notmaßnahme: steigender Meeresspiegel, ergo: schwimmende Häuser – Landgewinn für Japaner, Niederländer und Inselstaatenbewohner. Inzwischen sind wir Landratten in der Minderheit. Viele ziehen das Leben in diesen Aufsehen erregenden Architekturen vor, die von keiner Naturkatastrophe in Mitleidenschaft gezogen werden können. Mit einem E-Logistiker der 30.000-Einwohner-Lilie stehe ich in Kontakt. Er arbeitet im 12. Stockwerk unter Wasser. Auf meine Bitte hin richtet er hin und wieder die Kamera durch das riesige Bullauge nach draußen. Ich sehe viele Tentakel von oben ins Wasser greifen. An ihren Enden sind verschiedene Geräte befestigt, mit denen die Stadt im Meer stabil gehalten, Strömungsenergie gewonnen oder Abwasser verteilt und zersetzt wird. Roboter, die ihre Reparatur-arbeiten verrichten, und Fische durchziehen in Schwärmen das Bild. |
To be continued …
nov, 2. Juni 2110Nach dem Zusammenbruch der Geldwirtschaft hat sich eine elementare Währung herausgebildet: der Wasserverbrauch. Wir messen alle Dinge in Litern Wasser, die zu ihrer Herstellung benötigt werden.
Mit jemandem sein Wasser zu teilen, ist das größte Gastgeschenk, ganz wie es die Fremen aus der alten Schwarte »Wüstenplanet Dune« hielten. Dass ein fantastisch anmutendes Buch so viel Wirklichkeit enthalten könnte, überrascht mich immer wieder, wenn Gloria und ich feierlich unsere Lippen mit nicht aufbereitetem, tiefem und deshalb nicht erneuerbarem Grundwasser benetzen. |
To be continued …
nov, 26. Mai 2110Tatsächlich ist die Exkommunikation die schwerste Strafe, die einen Menschen heute treffen kann – der Ausschluss von der Teilnahme an allen unseren Kommunikationsmitteln, die Sperrung des Netzzugangs, die Verweigerung des Logins und der Robotersteuerung. Eine Exkommunikation bedeutet die Vernichtung der globalen Identität, den Entzug des Wissens, das Ende des Austauschs, den Verlust jeder Operabilität, Orientierung und Teilhabe. Mir ist allerdings niemand bekannt, der exkommuniziert wurde, weder aus der realen noch aus der virtuellen Welt. Vermutlich dient diese Vorstellung einer postchristlichen Hölle nur der Abschreckung. Tatsächlich ist Kommunikation in unseren Tagen eine religiöse Handlung geworden. Beichten nehmen wir uns in unseren Blogs, Foren und Chatrooms sub rosa gegenseitig ab. Wie im historischen Beichtstuhl sehen wir unserem Beichtvater nicht direkt ins Gesicht und erhalten das Bußsakrament durchs digitale Gitter. |
To be continued …
nov, 19. Mai 2110Ein Mann bewegt sich in einer Steppenlandschaft auf eine Felsgruppe zu. Er verlangsamt sein Tempo auch kurz vor dem Felsen nicht. Bevor er aufläuft, öffnet sich der Stein. Der Mann geht hinein, der Fels verschließt ihn in sich. Eine Frau steht vor einem großen blühenden Kastanienbaum, das Licht trifft so auf die Blätter, dass sie die Frau spiegeln. Sie steht vor einem riesigen Mosaik aus sich selbst. Sie spricht durch dieses und mit der Stimme des Windes zu den Menschen, die auf den Feldern der Ebene arbeiten. Diese Szenen stammen aus einem Film aus unserer Region, den ich mir gestern angeschaut habe. Die Filme unserer Zeit sind alle vollkommen synthetisch hergestellt – perfekte Technobilder ohne eine echte Außenaufnahme und ohne Schauspieler. Je virtueller ihre Herstellungsweise desto mehr beschäftigen sie sich mit der Natur und der Eingebundenheit des Menschen in sie. Verschmelzungen und Dialoge mit der Natur kennzeichnen unsere Traumfabrik. |
To be continued …
Hier ein Fundstückchen, da eins – im Netz sind fleißige Sammler unterwegs. Ihre elektronischen Briefmarkenalben sind hübsch anzuschauen, durchaus geistreich und mit seltenen Stücken veredelt. Aber allzu oft täuscht das bunte Spektrum kosmetisch über die Tatsache hinweg, dass es an Aussagen mangelt und das Netz sich an zahlreichen Stellen einfach reproduziert. So kann man unter der Make-up-Schicht der Aktualität alles oder nichts in der Netzkultur finden – oft auch leider letzteres.
nov, 11. Mai 2110Werte sind immer mit anderen Menschen verbunden. Es gibt sie nicht abgelöst davon. Alles gehört uns gemeinsam. Wir kommunizieren immer offen, weil es nichts gibt, was wir zurückhalten müssten. Wir bezahlen mit unserer Zeit, mit unseren Wissen und unseren Fertigkeiten, und wie die Menschen aller Zeitalter, am Ende mit dem Leben. In den Märchen fürchten unsere Kinder vor allem die finstere Figur des Börsenmaklers, obwohl sie sein hauptsächlich gebrauchtes Wort nicht verstehen: kaufen. Wozu gab es früher eine Branche, die mit einem abstrakten Zahlungsmittel handelte? Und nicht nur das: Ihre im Grunde völlig überflüssigen Agenten machten die Ströme dieser Fetische zum eigentlichen Inhalt und lösten sie immer weiter vom Menschen und seinen Bedürfnissen ab. Warum gab es in diesem System vor allem negative Werte? Wieso verursachten Menschen sogenannte Schulden, sobald sie nur existierten? Warum rentierte man sich einfach nicht, ebensowenig sinnvolle Arbeiten? Was heißt, Zocken war Herrschaftswissen? |
To be continued …
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
« Feb | ||||||
1 | 2 | 3 | ||||
4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |
18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 |
25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 |