nov, 7. Mai 2110Seit einer Stunde fahre ich durch eine höchst eintönige Landschaft: Wie eine Plantage Schultafeln reichen die Solaranlagen bis an den Horizont. Wir haben unsere Lektion gelernt: Energiequellen sind umso effektiver, je umweltschonender und risikoloser Energie gewonnen werden kann. Denn häufig genügte ein einziger Unfall, in einem Kernkraftwerk oder auf einer Bohrinsel, um die Menschheit für ihre Dreistigkeit Generationen lang bezahlen zu lassen. Unterirdisch liegen Unmengen atomarer Abfälle verborgen, deren Halbwertszeit die Menschheit wahrscheinlich um ein Vielfaches überdauern wird. Das ist wie die Geschichte des Zauberlehrlings, der seinem Besen besser nichts befohlen hätte. Es sind nicht immer nur die neuen Haushaltsgeräte, die besonders gut kehren. Auf manchen uralten, Sonne, Wind und Wasser, kann man fliegen, und das ist kein Hexenwerk. Über mir schwingt der riesige Rotor eines Windkraftwerks. Keiner kämpft mehr gegen diesen Riesen. Don Quichote reitet längst auf unserer Seite. |
To be continued …
nov, 19. März 2110Heute besuchte mich Gloria. Wir kennen uns aus der Schule und helfen uns nun schon lange gegenseitig auf der Suche nach unseren Körpern. Sie machte einen mitgenommenen Eindruck, weil die Service-Robots in ihrem Bezirk defekt waren und sie sich die Konstruktionsdaten ihrer Wohnung neuronal verabreicht hatte. Wir entschlossen uns zu einem Spaziergang draußen in den Ruinen. Gloria war wie üblich darüber begeistert, wie angenehm die Schutzanzüge zu tragen sind. Die verfallenen Gebäude forderten uns heraus zu überlegen, was die einzelne Baulichkeit früher wohl beherbergte. Gloria war gut vorbereitet und hatte die ganzen Fakten gespeichert. Relativ zielsicher navigierte sie zu einem ehemaligen Krankenhaus und dort in die, wie sie sagte, Geburtsstation. „Hier haben Frauen Kinder geboren“, sagte sie, „unvorstellbar, oder?“ Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Kind gesehen hätte. Kinder sind eine heikle Sache, die Erziehung wird als so wichtig eingeschätzt, dass sie besser nicht von Menschen übernommen wird. |
To be continued …
Keinen Affront scheuen – das ist das Metier von Reich-Ranicki.
nov, 3. März 2110An der Wand vor meinem Terminal hängt das Bild eines unserer globalen Helden. Er hatte damals mitten in New York begonnen, Energie zu sparen und seinen Konsum drastisch einzuschränken. Trotz aller Schwierigkeiten und Anfeindungen, weil er zum Beispiel kein Klopapier mehr benutzte, hielt er durch und formulierte seine Erfahrungen und Einsichten in seinem Blog. Der steht immer noch in der Holobibliothek und hat der Bibel längst den Rang abgelaufen. Die Verhaltensmaßregeln der von ihm gegründeten Gruppe »Avantgarde of non-consumption« sind zu unseren Geboten geworden. Ihre Einhaltung unterstützen wir durch neue Techniken, wo es nur geht. Heute bauen wir unsere Häuser aus bestens dämmendem Müll. Unsere Kleidung, das Geschirr, alles selbstreinigend, Nanobehandlung macht’s möglich. Die Diffusion der Partikel in die Haut ließ Waschen zur Luxusveranstaltung werden. Papier ist komplett durch praktisch unzerstörbare E-Books ersetzt. Fleischessen ist wegen des hohen CO2-Ausstoßes von Tieren und den enormen Wasserverbrauch bei der Aufzucht Geschichte geworden. |
To be continued …
Nuit Blanche from Spy Films on Vimeo.
nov, 20. Feb. 2110Seit Bio- und Digitalneuronen direkt ineinander übergehen, sind Computerviren auch auf den menschlichen Organismus übertragbar. Im vergangenen Jahr habe ich mir eine Paraglosstrojaner eingefangen, der meine Lexik umstrukturierte. Ich verwendete nur noch Wörter mit weniger als fünf Buchstaben richtig. Bei allen anderen kam es zu peinlichen Verschiebungen: Bei jeder Begrüßung verabschiedete ich mich, Respektspersonen begegnete ich mit Schimpfwörtern und für meine eigene Person hatte ich ständig andere Namen: Gefräßiger Plapperkäfer von Traal, Babelfisch, Eccentrica Gallumbits, Oberbrülloffizier oder Ähnliches … Nach einer Formatierung meines Sprachzentrums war dann alles wieder in Ordnung – aber was sage ich, seitdem habe ich das Gefühl, ich sehe mir beim Denken zu. Das Vokubular, das ich zu meiner täglichen Arbeit brauche, flutscht nur so. Aber waren da früher nicht noch Worte, die mir innerlich näher standen … |
To be continued …
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