Die FDP treibt im eigenen blinden Fleck. Frühkindliches scheint immer wieder in ihr hochzukochen. Umso weniger überrascht die Identifikation Brüderles mit Winnetou: Auch Karl Mays Schriften sind Ausgeburten einer verdrängten, scheinbar jugendfreien Sexualphantasie und billig konstruierter Sozialromantik.
Winnetou und Old Shatterhand - das Traumpaar der 60er-Jahre.
Heute wäre ein großer Ketzer des 20. Jahrhunderts 180 geworden. Er hatte das damalige Österreich als die Eiterbeule Europas bezeichnet, das ihn nach seinem Tod feierte und appetitlich als Tourismus-Sensation herrichtete. Tote beißen eben nicht mehr und übergeben sich nicht mehr verbal bei jedem erdenklichen Anlass. Aber Thomas Bernhard war ein Kotzbrocken aus Überzeugung, weswegen man ihm, mehr noch als durch die von ihm beschriebenen Preisverleihungen, durch seine posthume Ver(k)ehrung auf den Kopf gemacht hat.
Heute ist der damalige Skandalautor in allen gängigen Schulmedien zu finden. Er wird als Beispiel herangezogen, wie schlimm es in unserer Geschichte zuging, mit welchen faschistoiden Redensarten man sich gesellschaftlichen Zwängen widersetzen musste. Wie überschwenglich und relativierend mit dem Tod umgegangen werden musste, um als Individuum bestehen zu können.
Was wird die Zukunft bringen? Eine Frage, die der Jahreswechsel seit Jahrtausenden in uns auslöst. Wenn die Computer Zahlen umstellen und die Nacht am tiefsten ist, brennen wir ein Neuronen-Feuerwerk in unseren Köpfen ab. Eigenartig, weil doch die Zukunft das ganze Jahr über auf dem Spiel steht. Früher nannte man den letzten Tag des Jahres Silvester und praktizierte die seltsamsten Bräuche: Blei gießen, Briefkästen mit Böllern sprengen, Linsensuppe essen, sich auf die Rücken schlagen oder rote Unterwäsche tragen.
Aber dieses historische Fundstück legt Zeugnis über den bei weitem seltsamsten Brauch ab: »Es entschwindet das alte Jahr. / Die Kinder und der Karpfen sind gar. / Es wird gespeist.// Und wenn die Kannibalen dann satt sind,/ Besoffen und überfressen, ganz matt sind,/ Dann denken sie der geschlachteten Kleinen/ Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.« Tja, Menschenfresser waren eben auch nur Menschen.
Für Webpioniere war der Hypertext eine Utopie der subjektiven Verknüpfungen. Weil alles mit allem verbunden werden kann. Weil die Herkunft des einzelnen Textelements (der Autor) in großen Netzcollagen ins Schweben gerät. Ist dieses Attest in einem auf Vermarktung abzielenden Umfeld eigentlich gerechtfertigt? Bedenkzeit auf der Hyperbaustelle.
Der Lyrikdienst von Martin Auer liefert mit jedem Reload der Seite einen neuen Haiku per Zufallsgenerator. Ein schöner Kontrast: Mitten im globalen Hypertext wählt Auer diese vollkommen in sich ruhende Form.
Philip K. Dicks Werk ist von einer zentralen Gedankenfigur beherrscht: der Überlagerung. Unsere Wahrnehmungen überlagern sich auf verschiedenen Schirmen und zeigen, wie wenig integer unsere gängigen Realitätsschichten sind, dass wir permanent manipuliert werden und dass sich das Eine besonders im Anderen versteckt.
Die Baustelle ist nicht etwa der Frühjahrsmüdigkeit zum Opfer gefallen, nein, viel beschäftigt musste sie etwas zurückstecken, meldet sich aber hiermit zurück. Ich möchte an das Gespräch mit Jan Süselbeck über Literatur und Kritik erinnern und für eine littérature engagée eintreten, die auch in Zeiten der Wirtschaftskrise die richtigen Kurs kennt.
Dass Marcel Reich-Ranicki seine Verisse manchmal nur mit unsäglicher Langeweile begründete, ärgert Jan Süselbeck nicht. Er ist Chefredakteur des Rezensionsforums literaturkritik.de. Seiner Meinung nach muss Literaturkritik ohne Rücksicht auf Verluste und auch auf die Gefahr hin, sich mit seinem Urteil angreifbar zu machen, vorgetragen werden. Ein Gespräch über die Rollen von Literatur und Kritik heute.
Keinen Affront scheuen – das ist das Metier von Reich-Ranicki.
Haben Sie einen persönlichen Realitätenvermittler? Thomas Bernhard hatte einen: Karl Ignaz Hennetmair, der bereits bei Harald Schmidt über seinen berühmten Weggefährten Auskunft gab und Bücher veröffentlicht hat wie »Ein Jahr mit Thomas Bernhard«. Realitätenvermittler heißen in Österreich übrigens die Immobilienmakler, aber mit diesem Begriff wäre Hennetmairs Beziehung zu Bernhard nicht angemessen gewürdigt.
Hennetmair unterwegs zur Krucka auf dem Grasberg; Foto: urb
Nexus – woher kennt man das? SciFi-Fans werden nicht lange überlegen müssen: eine Art spirituelle Matrix im gleichnamigen Star Trek-Film mit Jean-Luc Picard und James D. Kirk. Und die Androiden-Generation Nexus-6 aus Philip K. Dicks Erzählung »Do Androids Dream of Electric Sheep?« – vielen besser aus der Verfilmung »Blade Runner« bekannt. Technikfreaks werden sofort an das Google-Smartphone Nexus One denken. Gegen das klagt Dicks Rechteverwertungsfirma jetzt.
Mehr als ein Telefon - Rutger Hauer spielt einen der Nexus-Replikanten in Blade Runner.
Am 4. Januar vor 50 Jahren ist Albert Camus gestorben – der viel geschmähte Mann der Revolte und des „absurden Trotzdem“. Heute ist er aktueller als seine damaligen Kritiker und man kann sich auf ihn als Waffe gegen ausgelaugte Ideologien und Mächte ohne Größe berufen, aber ihn auch als Prüfstein der eigenen Positionen heranziehen.
Dass das Leben einer Baustelle gleicht, ist ein ambivalenter Gemeinplatz. Dass Douglas Adams‘ Per Anhalter durch die Galaxis in seiner programmatischen Bedeutung für einen Utopisten nicht zu unterschätzen ist, mag jedem sofort einleuchten, der plötzlich einem Vogonen gegenübersteht.
Die Erdflüchtlinge wurden von den Vogonen gefangengenommen.
Jubiläum: Zum Goethe-Jahr 1999 sah ich mich veranlasst, einen Hypertext zu programmieren, der die Produktivität der Verständigung von Goethe und Schiller zum Thema hatte. Die beiden Lichtgestalten bewältigten 1799 in ihrem weltbekannten Briefwechsel fast jedes ästhetische, kulturelle und pathologische Problem.