nov, 29. Mai 2111Gerade bin ich aus der Plasmadusche gestiegen. Mich plagten Infektionen der Atemwege und eine Verletzung, die ich mir bei einer Reparatur der Kloake zugezogen hatte. Ein Aufenthalt im vierten Aggregatzustand der Materie ist heilsam. In diesem können wir Zusammensetzung und Reaktionsweise der Teilchen besser organisieren als in Luft oder Wasser. Die Elektronen und Radikale sorgen für eine nachhaltige Abtötung schädlicher Bakterien und Viren, mit Duftmolekülen geben wir uns einen guten Geruch, und manche behaupten, die Haut würde unter der Plasmadusche mehr Widerstandfähigkeit gegen die Sonnenstrahlen gewinnen. Im Plasmazustand gibt es nichts, wie es ansonsten unter Bedingungen unseres Planeten vorkommt. Die Zusammensetzung der Teilchen ist virtuell. Ihre Wirkung auf den menschlichen Körper ist zu messen, also nicht nur im Sinne positiver Gedanken zu verstehen. Aber fast möchte man sagen, im Plasma findet der Mensch einen ihm angemessenen Regenerationsraum, eine zweite Natur, die ihn vollkommen angenommen hat. |
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nov, 31. Januar 2111Eine fantastische Aussicht von dieser Bergkette, hinunter auf die Anlagen im Tal, wohlgemerkt keine Siedlungen. Wer würde schon gerne unterhalb eines Müllgebirges wohnen. Dem Berg, auf dem ich stehe, merkt man das aber nicht an. Da haben die Landschaftsdesigner ganze Arbeit geleistet. So weit das Auge reicht, erstreckt sich das prächtigste Erholungsgebiet. Gut, die Warnungen sind nicht zu überlesen: Kein Wasser trinken, und nichts essen, was an den Bäumen wächst. Aber diese Vorsicht ist uns eingepflanzt: Denn das Spektrum an Farben, Formen und Größen der Früchte ist unübersichtlich geworden. Die Erdgeschichte hat einige Gebirge aufgefaltet, weiter südlich die Aufsehen erregenden Alpen, die durch Errosion allerdings weitgehend verödet sind. Der Mensch hat in den vergangenen 100 Jahren die geologische Arbeit fortgesetzt. Seine pflanzenbedeckten Umweltsünden würden jeden Vergleich mit den alten Falten unserer Erde gewinnen. |
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nov, 19. Januar 2111Schrumpfen – eine glücklich machende Vorstellung, fast gleichbedeutend mit Gesundwerden. Leben in einer zwar domestizierten, aber im Überfluss vorhandenen Natur, in der sich Menschen begegnen und nicht gegenseitig auf die Füße treten. Das haben wir doch erreicht, sagte ich zu Gloria. Gut, winkte Gloria ab, wenn die Wirtschaft wachsen will, dann schrumpft die Bevölkerung. Kaufmannsdasein schwächt unseren Fortpflanzungstrieb, abgesehen davon, dass keiner mehr Zeit hatte, sich um Kinder zu kümmern. Das übernahmen ja dann die Robots, erwiderte ich. Trotzdem wurden die Geburtenraten in Europa immer niedriger. Und die Wirtschaft beschwerte sich über zu wenig Humankapital. Was waren die Gründe? Unfruchtbarkeit oder Dekadenz? Vernunft oder Individualismus? Egal, es gibt eine natürliche Balance, wieviel Mensch die Erde verträgt. Die wurde wiederhergestellt, ohne dass Maßnahmen eingeleitet wurden. Logisch, sagte Gloria, Maßnahmen sind ja auch nur Schlachten im Krieg der Kleinkrämerisierung. |
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nov, 19. Mai 2110Ein Mann bewegt sich in einer Steppenlandschaft auf eine Felsgruppe zu. Er verlangsamt sein Tempo auch kurz vor dem Felsen nicht. Bevor er aufläuft, öffnet sich der Stein. Der Mann geht hinein, der Fels verschließt ihn in sich. Eine Frau steht vor einem großen blühenden Kastanienbaum, das Licht trifft so auf die Blätter, dass sie die Frau spiegeln. Sie steht vor einem riesigen Mosaik aus sich selbst. Sie spricht durch dieses und mit der Stimme des Windes zu den Menschen, die auf den Feldern der Ebene arbeiten. Diese Szenen stammen aus einem Film aus unserer Region, den ich mir gestern angeschaut habe. Die Filme unserer Zeit sind alle vollkommen synthetisch hergestellt – perfekte Technobilder ohne eine echte Außenaufnahme und ohne Schauspieler. Je virtueller ihre Herstellungsweise desto mehr beschäftigen sie sich mit der Natur und der Eingebundenheit des Menschen in sie. Verschmelzungen und Dialoge mit der Natur kennzeichnen unsere Traumfabrik. |
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nov, 20. Nov. 2109Bei aller Zielgerichtetheit unserer Reformen, die Treibhausgase haben wir lange nicht in den Griff bekommen. Das Wachsen des Ozonlochs wurde erst vor kurzem von unseren Wettermachern gestoppt, und jetzt bedeutet auch nur kurze Zeit ohne Schutzanzug draußen sein, Hautkrebs und Schlimmeres. Am Anfang des 21. Jahrhunderts konnte man nach den Goddard-Berechnungen davon ausgehen, dass mit einem FCKW-Verbot die Ozonschicht gerettet werden könne. Im Jahr 2065 hatte sich die DNA-schädigende UV-Strahlung trotzdem um 850 Prozent gegenüber 1974 verstärkt. Eine Natur, die sich einfach nicht dominieren ließ, wie ein Wildpferd ausschlug, Tsunamis, Wüsten und Mutantenwellen über uns ausbreitete, hat die Menschheit zusammengeschweißt. Gerettet hat uns aber erst ein komplettes Umdenken: Die Natur ist kein Feind, den man niederwerfen könnte. Sie ist Allianzpartner und fähig zum Dialog. Sie ist träumender Geist. |
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